Ich, ich, ich – ist Narzissmus therapierbar?

Immer häufiger bekomme ich diese Frage gestellt, sowohl von Betroffenen als auch von deren Angehörigen bzw. Ex-Partnerinnen. Nun, ich denke, ich wäre nicht Psychologin und systemische Therapeutin geworden, wenn ich davon ausgehen würde, dass Menschen sich nicht verändern können. Soweit die gute Nachricht. Ein weiterer relevanter Aspekt in diesem Zusammenhang: Systemische Therapeuten sprechen nicht von „dem Narzissten“ oder anderen psychischen Störungen in Form einer Personifizierung. Denn genau diese hat bereits eine Stigmatisierung zur Folge, im Sinne von „der oder die ist so“ und damit unveränderbar. Da Psyche an sich aber nicht statisch ist, sprechen wir in diesem Fall von Menschen mit narzisstischen Anteilen. Zudem wird die überwiegend negative Besprechung des Phänomens „Narzissmus“ im Netz dem individuellen Einzelfall nicht gerecht und ist häufig selbst sehr abwertend formuliert.

Wie sieht sich der narzisstische strukturierte Mensch selbst?

Partnerinnen und Partner bleiben oft in den Beziehungen, weil sie einen liebenswerten Kern erkannt haben, das sog. authentische Selbst. Der narzisstisch strukturierte Mensch hingegen traut sich nicht, dorthin zu gucken, zu groß seine Angst, dass da letztlich nichts Liebenswertes zu finden ist. Daher versucht er, dies permanent zu kompensieren. Genau an dieser Stelle entstehen die Probleme in seinen Beziehungen genauso wie in der Therapie.

Permanente Selbsterhöhung als Motor für mehr Selbstbewusstsein

Eine genauere Betrachtung der Entwicklungsfähigkeit von narzisstisch strukturierten Menschen zeigt die Krux in Bezug auf Ihre Therapiefähigkeit. Denn die psychologische Aussage „vergangenes Verhalten ist der beste Prädiktor zur Vorhersage zukünftigen Verhaltens“ gilt in diesem Fall in verstärktem Maße. So sind wir Menschen Gewohnheitstiere und verändern uns nur bei massivem Leidensdruck. Narzisstisch motivierten Personen gelingt es oftmals sehr gut, sich durch permanente Selbstüberhöhung („was bin ich doch für ein toller Kerl“, „Du kannst wirklich froh sein, einen wie mich abbekommen zu haben“) nach Außen in einem guten Licht dazustehen. Häufig sind sie charmant, redegewandt, attraktiv und erfolgreich. Wirkliche Souveränität hingegen benötigt keine permanente Bewunderung.

Kritik wird oft als vernichtender Angriff erlebt, auch in der Therapie

In der Therapie funktioniert diese Art von ausschließlich bestätigender Kommunikation nicht, denn der Therapeut wird seinem Klienten keinen „Honig ums Maul schmieren“. Die Bewunderung, die der narzisstisch strukturierte Mensch andauernd braucht, um sich gut zu fühlen, bleibt aus. Im Gegenteil ist Therapie der Ort, sich kritisch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und an dieser Stelle setzt sehr schnell die sog. „narzisstische Kränkung“ ein, der der Klient mit seiner „narzisstischen Wut“ begegnet. Vereinfacht erklärt fühlt er sich selbst bei leichter Kritik unmittelbar angegriffen, nachgerade vernichtet. Das kann er nicht stehen lassen und begegnet dem vermeintlichen „Angreifer“ mit Wut. Diese Wut (und damit Abwertung des Gegenübers) dient der Abwehr negativer Gefühle, der erlebten Kleinheit und Unzulänglichkeit.

Was also muss gegeben sein, damit sich eine narzisstisch strukturierte Person in Psychotherapie begibt?

Wichtig ist erstmal ein hohes Maß an Leidensdruck. Meist entwickelt sich dieser bei einschneidenden Lebensereignissen wie z.B. einer Trennung seitens der Partnerin oder des Partners. Der Klient (bzw. die Klientin) erlebt sich dann häufig als Opfer und schlecht behandelt, eigene Fehler vermag er nicht zu finden.

Für den Therapieerfolg ist elementar, dass es dem Klienten gelingt, die Spaltung seines Selbst zum einen in eine authentische, sehr bedürftige Seite und zum anderen ein nach außen gelebtes Ideal zu begreifen. Hier muss der Therapeut sehr behutsam vorgehen, sonst bricht der Klient die Therapie nach wenigen Stunden ab. Im nächsten Schritt darf der Klient lernen, sich seiner bedürftigen Seite mit Selbstliebe zuzuwenden, um seine Gier nach Bewunderung durch Andere, die der eigenen Selbstüberhöhung dient, loszulassen. Dieses „Fass ohne Boden“, wodurch er permanenter narzisstischer Zufuhr bedarf, ersetzt er durch ein Fundament der Selbstliebe. Einfach beschrieben lernt er, dass er auch nur ein normaler Mensch mit Schwächen ebenso wie mit liebenswerten Seiten und Fähigkeiten ist. Durch die Selbstannahme kann er eine psychische Stabilität aus sich selbst heraus entwickeln.

Buchempfehlung zum Thema Narzissmus

Ein Buch, das den Umgang mit narzisstisch strukturierten Menschen und diese Möglichkeit der Bearbeitung sehr verständlich beschreibt ist „Gestatten, ich bin ein Arschloch. Ein Narzisst und Psychiater erklärt, wie Sie Narzissten entlarven und ihnen Paroli bieten können“ von Pablo Hagemeyer.