Das erweiterte Ich oder das Aschenputtel? – Über Kinder narzisstischer Mütter

Der Begriff „Narzissmus“ wird vor allem mit despotischen männlichen Staatslenkern und Firmenchefs in Verbindung gebracht, ebenso wie mit dominanten Partnern in toxischen Beziehungen. Wurde Narzissmus bisher vor allem männlich konnotiert, erlebe ich in meiner Praxis auch Frauen, deren Mütter starke narzisstische Anteile aufweisen. Darunter haben meine Klientinnen in ihrer Kindheit stark gelitten und sie spüren die Folgen noch im Erwachsenenalter, darum kommen sie in die Therapie.

Woran erkennt man mütterlichen Narzissmus?

Interessanterweise kann sich ein narzisstischer Umgang mit dem Kind ganz unterschiedlich zeigen und ich habe schon Klienten beraten, bei denen die Mutter ihre beiden Kinder ungleich behandelt. Ob vereinnahmend oder vernachlässigend, die Folgen für das Kind sind negativ. Denn es wird nicht bedingungslos geliebt und angenommen. Es kann in seinem Zuhause, das eigentlich sein „safe space“ sein sollte kein gesundes Urvertrauen entwickeln. Es wird nicht in seiner Individualität gewertschätzt und gefördert, sondern muss bestimmte Funktionen erfüllen, die die Mutter unbewusst oder auch bewusst für sich selbst nutzt.

Welche verschiedenen Umgangsweisen mit dem Kind kann man bei narzisstisch agierenden Müttern beobachten?

Aktuell unterscheidet man die vereinnahmende und die vernachlässigende Mutter.

Die vereinnahmende Mutter betrachtet das Kind aus einer eigenen Leere heraus als Erweiterung ihrer Selbst. Dieses Phänomen ist oft zu beobachten bei ehrgeizigen Müttern, die ihre Kinder hinsichtlich der Karriere, z.B. auch als Sportler unterstützen. Das Kind soll die Mutter „outperformen“, es soll etwas leisten, was der Mutter versagt blieb. Nach außen wirken diese Frauen oft sehr unterstützend, sind quasi perfekte Mütter. Ich habe eine Frau begleitet, die in ihrem Sport sehr talentiert war und dann auch mithilfe eines Stipendiums im Ausland zur Profisportlerin aufgebaut werden sollte. Was die Mutter aber übersah war, dass die Tochter trotz ihres Talentes überhaupt kein Wettbewerbs-Typ war. Sobald sie im Turnier stand, wurde der Druck so hoch, dass sie nicht mehr ihre Leistungen abrufen konnte. Die Mutter sah also nur das Talent der Tochter, aber nicht ihre ganze Persönlichkeit. Die Erwartungen der Mütter übersteigen die Möglichkeiten des Kindes, eine angemessene Entwicklung kann nicht stattfinden. Das Kind bekommt das Gefühl, nicht gut genug zu sein, nicht okay zu sein, wie es ist.

Die vernachlässigende Mutter ist nicht für ihr Kind da, fühlt sich von diesem gestört und wertet es ab. Sie wehrt damit quasi ihren eigenen mangelnden Selbstwert ab, indem sie ihn auf ihr Kind projeziert. Das Kind erhält weder Mitgefühl noch Unterstützung. Zwar wird es mit Ausstattung und Essen versorgt, aber leider nicht emotional. Das Kind muss sich anpassen an das, was die Mutter gerade selbst braucht und was sie zu geben bereit bzw. fähig ist. Viele Mütter sind dem Kind gegenüber zusätzlich ambivalent. Das bedeutet, dass es auch Momente der Zuwendung geben kann, diese aber für das Kind nicht kalkulierbar und verlässlich sind. Das löst Unsicherheit aus. Viele Kinder beginnen, sich um ihre Mütter zu kümmern, sie entwickeln starke Antennen dafür, was die Mutter brauchen könnte. Dabei kehren sich die Rollen um, das Kind versorgt die bedürftige Mutter, eine Aufgabe, mit der es völlig überlastet ist. Die erhoffte beständige Zuneigung und Sicherheit wird ihm nicht zuteil, da die Mutter selbst sich ihm gegenüber aufgrund ihrer psychischen Struktur gar nicht oder nicht durchgängig zugewandt verhalten kann. Das Kind erlebt sich als ungenügend und fühlt sich nicht gesehen.

Worunter leiden die Betroffenen und woran können sie arbeiten?

Die Klienten, die mich aufsuchen, gehören häufiger zu der Gruppe der vernachlässigten Kinder. Sie leiden unter mangelndem Selbstwertgefühl, können sich oft nicht richtig spüren und richten sich stark nach den Bedürfnissen anderer Menschen. Sie werten sich selbst ab, erleben sich als unzulänglich. In Beziehungen werden sie getriggert, wenn sie sich nicht gesehen fühlen. Dabei trauen sie sich selbst oftmals nicht, sich zu zeigen, zu sagen, was sie brauchen, was wiederum zu Missverständnissen führt. Ihre Entwicklungsaufgabe ist es, zu erkennen, dass sie als Erwachsene nicht länger im alten System leben, dass sie die Möglichkeit haben, ihr Leben selbst zu gestalten und sich aus den alten Mustern zu befreien. In der Therapie lernen sie, mit sich in Kontakt zu kommen. Das bedeutet, sich liebevoll anzunehmen, sich nach außen mit seinen eigenen Bedürfnissen zeigen zu dürfen, ohne verurteilt zu werden genauso wie sich abzugrenzen und sich gut zu versorgen. Der therapeutische Prozess hat meist auch Auswirkungen auf das Verhältnis zur Mutter, von Aussprache über Verringerung des Kontaktes bis hin zum Kontaktabbruch. Auch hier gilt es zu spüren, was die Seele braucht, damit die eigene Identität entdeckt und gelebt werden kann.

Weiterführende Literatur zum Thema
Bärbel  Wardetzki (2021): Weiblicher Narzissmus.