Kennst Du das? Du hörst einen Podcast und die Podcaster kommen Dir vor wie alte Bekannte? Oder Du fragst Dich, was eine Influencerin zu Deinem Style sagen würde, nachdem Du Dir ihr Tutorial angeschaut hast und Dich dementsprechend geschminkt hast? Dann hast Du eine parasoziale Beziehung.
Parasozial: Wort des Jahres
Das Wort ‚parasocial‘ (dt.: parasozial) wurde von der renommierten Wörterbuchreihe Cambridge Dictionary zum Wort des Jahres gekürt. Wer meinen Blog kennt, weiß um meine Freude an Fachbegriffen, die plötzlich in der Bevölkerung ankommen. Nun also ‚parasozial‘, was mich besonders freut, denn ich habe sowohl meine Diplomarbeit als auch meine Dissertation über dieses Phänomen geschrieben.
Was ist ‚parasozial‘? Parasoziale Kommunikation und parasoziale Beziehung
Der Begriff wurde bereits 1956 (von den Wissenschaftlern Horton und Wohl) eingeführt und meint, dass die Kommunikation mit Schauspielern und Moderatoren in einem Medium, damals vor allem dem Fernsehen, nach einem ähnlichen Muster verläuft wie die direkte Kommunikation mit Freunden und Bekannten, wenn auch faktisch nur einseitig. Als Zuschauer entwickelt man ein Bild von den Protagonisten und das führt letztlich dazu, dass wir Schauspieler und Moderatoren wahrnehmen können wie einen Freund und eine sog. parasoziale Beziehung zu ihnen entwickeln, obwohl sie ihnen nie im Leben begegnen werden. Heute betrifft das natürlich auch Influencer und KI-Chatbots.
Wofür ist parasoziale Interaktion gut?
Unsere Studien damals, die wir im Auftrag der Landesmedienanstalten durchführten, drehten sich um TV-Talkshows, in denen ganz normale Menschen auftraten und über ihr privates Leben erzählten, z.B. über Seitensprünge, Missbrauch, Scheidung, Sorgerechtsverlust usw. Was heute total normal ist, war damals ganz neu. Und die Effekte auf die Zuschauer, so unsere Forschungsergebnisse, waren interessanterweise durchweg positiv. Entweder der Zuschauer konnte sich ganz klar positiv abgrenzen von den Studiogästen (’solche Probleme habe ich nicht‘) oder es ging ihm ähnlich (‚ich bin nicht alleine mit meinem Problem‘) oder der Studiogast hatte ein ähnliches Problem besser in den Griff bekommen und dadurch Vorbildcharakter, was dem Zuschauer die Hoffnung gab, seine Probleme auch bewältigen zu können. Heute ist es leider ganz anders.
Parasoziale Interaktion heute – Selbstzweifel und Frustration
Heute wird in den sozialen Medien rund um die Uhr gepostet. Ich selbst habe Klienten und Klientinnen, die als Influencer tätig sind und ich weiß, dass das leckerste Eis Italiens tatsächlich nie gegessen wurde, die Wüste in Namibia nie erkundet, sondern das alles nur kurz für das Foto oder das Reel herhalten musste. Noch dazu muss rund um die Uhr gepostet werden und Influencer sind einer gnadenlosen permanenten Bewertung ausgeliefert, vieles ist also mehr Schein als Sein. Die Fan-Gemeinde aber sieht die Glamour-Welten als real an. Und eine Karriere als Influencer oder C-Promi scheint für den Normalbürger deutlich leichter erreichbar als früher der Aufstieg zum Hollywood-Star. Folglich eifern viele Menschen, vor allem junge Frauen, ihren Vorbildern nach. Sie wollen sich perfektionieren, dünn sein, auch jede Menge Botox gehört dazu. Leider zeitigt der parasoziale Vergleich nicht mehr nur (wie früher) positive Ergebnisse, sondern geht häufig Frustration und Selbstzweifeln einher.
Zufriedenheit und seelische Balance: Am wichtigsten ist das ‚authentische Ich‘ zu leben
Es ist ganz wichtig, sich bewusst zu machen, dass man manche Dinge nicht erreichen muss oder kann. Ich werde beispielsweise nie eine Hochleistungssportlerin sein, danach zu streben wäre daher wenig sinnvoll und sehr energiezehrend. Das Ziel sollte daher ein authentisches und stimmiges Selbst sein. Das bedeutet, seine Talente, Kompetenzen und Interessen zu erkunden, seinen Werten gemäß zu leben und sich auf seine eigenen Stärken zu besinnen. Das kostet weniger Energie, den man muss sich nicht verbiegen, und es ist deutlich erfolgversprechender. Psychologen wie Friedemann Schulz von Thun sprechen in diesem Zusammenhang von der ‚Ich-Erfüllung.‘ Im Japanischen spricht man vom ‚Ikigai‘ oder mit anderen Worten: Wofür lohnt es sich, morgens aufzustehen?
Wir planen eine Podcast-Folge zum Thema, ich halte Euch auf dem Laufenden.